Helmut Uhlig (in: Tantrische Kunst des Buddhismus, Berlin 1981, S. 46 ff) spricht von religiösen Kunstwerken, wie sie sonst nur schwer auf unserer Erde zu finden seien. Auch christliche Ikonen könnten kaum mit der Vielfalt, der Eleganz, der Farbenpracht, der Faszination, der kraftvollen Ausstrahlung, der tiefgründigen Besinnlichkeit und Spiritualität mithalten, wie sie Betrachtern von Thangkas geboten würden.
Thangkas sind Ikonenmalereien des lamaistischen Buddhismus, der Religion des Dalai Lama. In den Ländern, in denen diese Form des Buddhismus verbreitet ist (Tibet, Ladakh, Mongolei, Sikkim, Bhutan, Nepal, und in Teilen Sibiriens, wie z. B. Burjatien) begegnet uns eine bis in die heutige Zeit durchgehende lebendige Tradition einer Kunstform, deren Ursprung über 1000 Jahre zurück liegt.
Die Rollbilder (= tib.: Th’an-g-ka) erfreuen sich wegen ihrer unvergleichlichen Ästhetik in zunehmendem Maße großer Beliebtheit in der ganzen Welt. Während sie in Klöstern Zentralasiens und in den Heimen der Menschen dort wesentlich zu Zwecken der Meditation, generell auch zum Schutz vor Dämonen und zum Segen des Hauses aufgehängt sind, werden sie - außer von den Buddhisten bei uns - von vielen nicht-buddhistischen Liebhabern in der westlichen Hemisphäre zur Ausschmückung des privaten Heims und wiederum auch zur Sicherheit vor dämonischen Einflüssen erworben.
Aufbau und Inhalte sind ikonographisch und thematisch weitgehend gebunden an die Formen der Götter, deren Farben, Haltungen, Attribute. Das alles, ja sogar die Art der Bekleidung (mönchisch, fürstlich, dämonenhaft) ist festgelegt in den ikonographischen und Heiligen Schriften des Vajrayana-/Tantrayana-Buddhismus (Lamaismus). Eine persönliche Interpretation des Malers ist - fast - ausgeschlossen. Als individuelle Interpretation haben die Maler nur die Möglichkeit, in den Ausschmückungen, der bildlichen Ausgestaltung der Hintergrundmalerei, der ästhetischen Gesamtwirkung und schließlich in der Feinheit der Ausführung ihre Kreativität und ihr Können zu präsentieren. Und darin zeigen sich dann die Meister!
Dennoch enthüllen sich unterschiedliche Motive in Vielfalt. Ganz bedeutend sind die Darstellungen meditativer Leitgedanken: Bildnisse verschiedener Buddhas, Bodhisattvas und anderer Götter. Jedoch gibt es ebenso historische oder legendäre Bilder, in denen Heilige, Ordensgründer oder berühmte Mönche aus der Hierarchie einzelner Orden zu sehen sind.
Neben friedvollen Gottheiten, Heiligen usw. erscheinen auch schrecklich aussehende Gestalten. Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um Dämonen, sondern vielmehr sogar um sehr wichtige, sehr positive Götter bzw. Buddha-Aspekte. Als sogen. Schutzgötter schützen sie (u. a.) den Einzelnen, die Lehre, eine Institution oder ein Tantra-System vor Gefahren und Widersachern. Mit Hilfe ihres furchterregenden Aussehens wehren sie wirkungsvoll Feinde ab.
So fungiert beispielsweise die erschreckend aussehende Palden (Penden) Lhamo als persönliche Schutzgöttin des Dalai Lama. Und der fürchterlich anzuschauende Mahakala hat - neben vielen anderen Aufgaben - auch die spezielle des Schutzes der Wohnung vor Dämonen und anderen Gefährlichkeiten. In der Mongolei führt er deswegen den Beinamen "Hüter der Jurte“. Und er ist gleichzeitig der "zornige Aspekt“ des Bodhisattvas Chenrezig (Avalokiteshvara).
Die Grüne Tara, die wichtigste weibliche Gottheit, die Personifizierung für die voll entfaltete Mutterenergie, ist von ganz besonderer Bedeutung! Sie wird als Heilerin und als Schützerin vor großen Gefahren, als die Verkörperung der Heilsaktivität aller Buddhas verehrt. Als "Retterin der Menschen, die von ihr über den Ozean des Daseins getragen, aus dessen Strudel errettet werden“, weckt Sie geistige Kräfte, heilt von negativen Energien aber auch von körperlichen Schmerzen. Aus all diesen Gründen wird sehr viel über sie meditiert. Die Grüne Tara erscheint in der Regel friedvoll und mit einem Ausdruck voller Liebe und Mitgefühl - eine vornehmliche Anforderung an das Können der Thangka-Maler.
Der Dalai Lama betont in einem seiner Werke (Das Herz aller Religionen ist eins, Hamburg 1997), dass die Tara die "vollkommene Energie und Aktivität aller Buddhas“ repräsentiere, die "spirituelle Kraft und das spirituelle Potenzial der Frau“ veranschauliche und "so Millionen von Frauen ... als Quelle tiefer Inspiration“ diene.
Mandalas sind eigenständige Thangkamotive. Dabei handelt es sich um (vorwiegend) kreisförmige Meditationsdiagramme, die die Lehre oder Teilaspekte dieser vermitteln. Fast immer befindet sich im Zentrum des Diagramms eine bestimmte Gottheit, der das Mandala zugleich als (vom Betrachter sich dreidimensional vorzustellender) Palast dient. Martin Brauen (Das Mandala, Köln 1992) sagt dazu noch weiter, dass sich "der Begriff <Mandala> ...auch auf den Kosmos insgesamt beziehen (kann), dann nämlich, wenn das in Gedanken vollständig geläuterte Universum in einem speziellen Ritual als Opfergabe dargereicht wird“.
Im Westen sind tibetische Mandalas zunehmend beliebt, weil sie den Betrachter in das Zentrum des eigenen Inneren führen. Daher sind Mandalas nicht nur ein ästhetischer Genuss besonderer Art sondern auch noch hervorragend zum Ausgleich psychischer Spannungen geeignet.
Malgrundlage ist sehr fein gewebte, mit einer Kreide-Leim-Mischung sorgfältig grundierte und danach mit einem Halbedelstein (meist Achat) so glatt geschliffene Leinwand, dass oft angenommen wird, es sei auf Papier gemalt. Das ist jedoch nie der Fall! Übrigens werden Thangkas auch nie auf Seide gemalt, bestenfalls auf solche gestickt!
Farbige tibetische Ikonen stellen die Mehrzahl dieser wunderschönen Kunst des Lamaismus. Daneben gibt es aber auch noch Rollbilder, die eine abschließende Grundierung in Schwarz, Rot, Blau oder aus Gold erhalten. Auf Stücken dieser Art erfolgt dann die Malerei oder Zeichnung häufig monochrom, nicht ganz so oft teilkoloriert. Derartige Thangkas fordern den Malern besondere Fähigkeiten und Sorgfalt ab, denn Fehler können nicht mehr korrigiert werden. Alle bisherige Arbeit war dann umsonst. Daher ist für solche Rollbilder eine noch intensivere und noch längere Malausbildung erforderlich als sonst schon üblich.
Seit jeher und bis heute wird auch Gold zum Malen verwendet. Dazu wird das reine Edelmetall zu allerfeinstem Puder verarbeitet und mit Leim angerührt. So kann tatsächlich auch mit Gold gemalt werden.
Traditionsgemäß sind diese religiösen Kunstwerke nicht signiert, sofern es sich um solche tibetischen Stils handelt. Seltene Ausnahmen bestätigen die Regel. Signiert sind dagegen häufig Thangkas im sogen. Newar-Stil, einem Thangkamalstil von überwiegend nepalesischer Prägung.
In Tibet selbst werden seit der weitgehenden Zerstörung der wertvollen Kultur dieses Landes durch China kaum noch Thangkas gemalt. Die meisten der in Klöstern benötigten oder an Touristen verkauften Stücke stammen aus Nepal, wo schon seit Langem die Tradition der tibetischen (und der eigenständigen nepalesischen) Thangkamalerei gepflegt und fortgesetzt wird.
Beim Betrachten dieser Kunstwerke wünschen wir Ihnen nun ebensoviel Genuss und Freude, wie wir selbst sie schon seit vielen Jahren sich immer noch steigernd erleben!
Ihre Schneelöwe® Galerie Tibet